[Kurzgeschichte]: Winde des Zerfalls

[Kurzgeschichte]: Winde des Zerfalls

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Posted by: Maria Murtor.7253

Maria Murtor.7253

(Anmerkung des Autors: Die Kurzgeschichte umfasst 10.500 Wörter. Dummerweise unterliegt das Forum einschließlich dieses Bereiches einer Post-Begrenzung von 5.000 Zeichen. Daher musste die Geschichte gestückelt gepostet werden, dadurch leider auch schlechte Absätze/Übergange. Schöner zu lesen hier: http://www.wartower.de/forum/showthread.php?1135590-Guild-Wars-2-Winde-des-Zerfalls)

Von den klammen Felsen und den versteinerten Seeanemonen hallte der Trauerchor einer verblassten Epoche wider. Melancholisch zurückblickend auf eine Dynastie von Reichtum und Wohlstand fächerte der Lufthauch durch die spindeldürren, turmhohen Korallenformationen, die wie knochige Hände aus dem Boden ragten und den Himmel zu fassen versuchten. Wo schlammige Salzwasserpfuhle die graue, vernarbte Erde unterbrachen, schwang die Wasseroberfläche träge im Rhythmus des klagenden Gesangs. Hinter einem Acker unerbittlicher, schroffer Felsen nahm das leise Säuseln allmählich Formen einer unangenehm steifen Küstenbrise an. In ihrer Trauer so mächtig, vermochte die Arie ganze Meere und Ozeane zu überqueren und an den weit entfernten Gestaden gleichermaßen Abenteurer wie auch Todesmutige zu den verderbten Ufern dieses von den Göttern verlassenen Landes zu locken. Das Land mit Namen Orr.

Riona Murtor hatte ihren Herzschlag der Atmung angepasst. Von dem stark reduzierten Augenlidschlag abgesehen rührte sich kaum ein weiterer Muskel. Längst hatte das Zeitgefühl die junge Waldläuferin mit dem kastanienbraunen, schulterlangen Haar verlassen. Nur wenige Minuten konnten verstrichen sein, seit sie von ihrem Stoßtrupp getrennt war, vielleicht aber sogar ganze Stunden. So weit hinter feindlichen Linien aber war Zeit bereits völlig bedeutungslos, und das wusste sie. Ebenso war sie gewiss, welche Aufgabe ihr zugetragen worden war. Sie war die Kundschafterin einer sechsköpfigen Expedition. Von ihrem Geschick, ihrem taktischen Verständnis und ihrer Geduld konnte der Erfolg, sogar das Überleben der Gruppe abhängen. Bislang hatte sie der Einheit, welcher sie angehörte, gute Dienste erwiesen, mögliche Gefahren frühzeitig registriert und Hinterhalte vermieden. Und die Göttin Melandru selbst war ihre Zeugin: So kurz vor dem Ziel zu scheitern war keine Option.
Von dem Buckel eines knapp einhundert Fuß hohen Felsmassivs spähte Riona in das Tal hinab. Die vielen übereinander liegenden, teils von einer schleimig grünen Algenschicht bedeckten Gesteinsplatten erinnerten vage an Treppenstufen und hatten den noch zu Anfang schwerfälligen Aufstieg zunehmend erleichtert. Jetzt, hoch oben, boten sie die notwendige Deckung, um in Orr zu überleben. Vielleicht sogar lange genug, um dieses verfluchte Land in einem Stück wieder zu verlassen. Erneut fegte eine besonders hartnäckige Windböe über das Versteck der Späherin hinweg. Einem Raubvogel gleich schien der Wind den Gipfel zu umkreisen, erpicht auf die nächste Gelegenheit eines Sturzfluges wartend, um dann die eisigen Klauen erneut nach der unbekannten Fremden auszustrecken. Doch bereits der letzte Angriff hatte seine Spuren hinterlassen. Rionas in Anspannung verhärtetes Gesicht bröckelte, die kurzen Nackenhaare kräuselten sich in Empörung. Sie fror. Wo zuvor Schlamm und Wasser in Unachtsamkeit ihre mahagonifarbene Brünne berührt hatten, schien sich die die Nässe zunehmend in einen eisigen Dolch zu verwandeln. Teile ihrer leichten Lederrüstung waren bereits so stark durchtränkt, dass die Feuchtigkeit die darunter liegende Haut malträtierte. Ein wärmendes Feuer zu entfachen, konnte sie jedoch unmöglich riskieren. Allein der Gedanke war töricht. Ebenso gut konnte sie versuchen, einen Karren auf Hochglanz polierter Silberlinge durch einen Skritt-Tunnel zu bugsieren – da standen die Chancen wahrscheinlich sogar noch günstiger. Je tiefer Riona in diese alberne Phantasie eintauchte, desto mehr lockerte sich ihr angespanntes Gesicht. Der bloße Gedanke hatte etwas Wärmendes, etwas Linderndes. Für einen Wimpernschlag der Zeit vermochte sie sogar ihre Situation zu vergessen und die kalte Realität um sie herum auszusperren.
Die Illusion war nur von kurzer Dauer. Schneller als es ihr eigentlich lieb war, besann sich Riona wieder ihrer Mission. Während der Blick wieder in das Tal hinab wanderte, legte sich der kalte Mantel wieder schonungslos über ihre Schultern. Die Seele krankte an Einsamkeit. Orr hatte sie wieder.

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Maria Murtor.7253

Die Furchen im Boden waren zu regelmäßig und sauber angeordnet, als dass sie eine Laune der Natur hätten sein können. Nachdem Riona die Kreatur, die nur aus der Entfernung menschlich zu sein schien, inmitten dieser Gräben eine Weile beobachtet hatte, war sie sich ziemlich sicher, dass das Wesen einst Teil einer Familie von einfachem Geblüt gewesen sein musste, die hier ihre Feldfrüchte angebaut hatte. Wer war diese leere Hülle zu Lebzeiten? Ein bescheidener Bauer? Ein reicher Gutshofbesitzer? Welchem der Sechs hatte er seine Treue geschworen? Hatte er Familie besessen? Kinder? Wer er auch war – dieser Tage war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Bis auf wenige schüttere Strähnen war er kahlköpfig. Die Wangenknochen traten weit aus dem verfaulten, skelettartigen Gesicht hervor. Die einst von der Sonne gestählte Haut war aschfahl wie schmutziges Wasser und hing, alten Laken ähnlich, von den Knochen. Die Zeit – oder vielleicht auch jemand – hatte das vergilbte, ärmellose Hemd über der Brust windschief zerrissen, sodass ein Teil seines nackten, ausgemergelten Brustkorbes dahinter hervorschaute – womöglich Spuren eines Kampfes. Die kurze, graue Hose besaß viele Taschen, wahrscheinlich diente sie einst speziell zur Aufbewahrung unterschiedlichen Saatguts. Allem Anschein nach kümmerte es den Bauern nicht, dass ihm sein linker Schuh abhandengekommen war und sich der Schlick allmählich mehr und mehr seines nackten, knochigen Beines einverleibte. Auch nicht, dass das Ackerland, welches er wie besessen mit einer rostigen Hacke zu kultivieren versuchte, zu einem kargen, verdorbenen Ödland verkommen war; fast so, als besaß er gar keine Kenntnis darüber, welch grausiges Schicksal ihn und jeden einzelnen Bewohner des Königreichs von Orr heimgesucht hatte.
Kaum erkennbar neigte Riona plötzlich ihren Kopf etwas zur Seite. Kurz sinnierte sie, dann öffnete die Waldläuferin den Mund. Nicht um die Kehle mit nasskalter Luft zu befeuchten, sondern um ihr Schweigen zu brechen. „Was gibt es, Vespa?“
Der Klang der eigenen, zu einem gedämpften Flüstern gesenkten Stimme klang merkwürdig fremd. Ein unangenehmes Gefühl, sich selbst so zu hören, wie sich Riona eingestehen musste. Noch merkwürdiger aber war, dass tatsächlich jemand antwortete.
„Baelfeuer soll mich holen! Das wievielte Mal …? Wie stellt Ihr das bloß an?“
Aus einer Bresche von Licht und Schatten schälten sich in Sekundenschnelle die Konturen von etwas Großem. Riona entgegnete dem Schauspiel beinahe mit Gleichgültigkeit, fast so, als wäre es das Banalste der Welt, dass eine breitschultrige, katzenhafte Bestie plötzlich aus dem Nichts erschienen war. Das krummbeinige, löwengesichtige Geschöpf mit den klauenbewehrten Füßen überragte Riona um einen halben Meter. Von Kopf bis zu der Liebschespitze bedeckte rostbraunes Fell, das stellenweise von unförmigen schwarzen Flecken unterbrochen wurde, den stämmigen und doch irgendwie erstaunlich grazilen Körper; das Meiste davon verbarg sich unter einer eng ansitzenden, pechschwarzen (und im heutigen Fall schlammbeschmierten) Lederrüstung. Je zwei langgezogene Ohrenpaare ragten seitlich aus dem Kopf des Monsters, von denen ein Paar abgewinkelt in Richtung Tal ausgerichtet war. Wie jeder ihrer Art besaß auch dieses Exemplar vier Hörner: ein sehr kurzes Paar links und rechts zwischen den Ohren und zwei lange auf dem Kopf, die hinterrücks zu den breiten Schulterblättern ragten.
„Einen Charr rieche ich aus einer halben Meile Distanz“, Riona tippte auf ihre Nasenspitze, „und einen nassen sogar noch aus weiterer.“
Die Lefzen zu einem mörderischen Lächeln zurückgezogen, entblößte Vespa einen Satz scharfer Reißzähne, die so blank waren wie ihre schlitzförmigen Augen. „Seid Ihr sicher, dass unter diesen Hautfetzen nicht doch ein wenig Fell wächst? Bei der Asche-Legion hättet Ihr euch längst zum Zenturio gemausert.“ Die Charr lachte. Ob nun wegen der bloßen Vorstellung, wie zwischen ganzen Ansammlungen von Fell, Muskeln und Krallen eine zierliche Menschenfrau, kaum größer als ein Welpe, verbissen um die Gunst ihres Ausbilders buhlte, oder aber wegen des kleinen Maus-Seitenhiebes – in den Charr-Legionen eine nicht ganz adrette Umschreibung für einen Menschen. Eine Erklärung blieb sie ihrer Partnerin schuldig.

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Zurück in Ascalon, ihrer Heimat, hatte Vespa Nachtpirsch in der Asche-Legion gedient. In jeder anderen Einheit hätte man die Vorsicht und Geduld der leichtfüßigen Charr mit Feigheit gleichgesetzt, sie in der unerträglichen Mittagssonne angepflockt und den Krähen überlassen. Nicht aber in der Asche-Legion, wo man die Schläue und List der Diebin so sehr zu schätzen wusste wie einen scharfen Dolch. Schnell, lautlos, tödlich – alles Eigenschaften, die ihr schließlich den Weg zu einem ranghohen Offiziers in dieser Einheit von Assassinen und Spionen geebnet hatten. Auf besondere Empfehlung des Asche-Tribuns hatte es Vespa vor zwei Jahren zum Orden der Gerüchte verschlagen, eine von drei großen Vereinigungen der freien Völker Tyrias im Kampf gegen die Unterdrückung durch die Alt-Drachen.
„Vielleicht hättet Ihr leichteres Spiel, wenn Ihr vorher nicht baden gegangen wärt. Seid Ihr hierher geschwommen?“ Kritisch musterte Riona die wenig schmeichelhaften Schlammflecken auf dem schwarzen Leder.
Die Charr kreuzte beleidigt die oberschenkelgroßen Arme. „Pff! Da passt man einmal nicht auf, wo man hintritt, und schon ist man seines rechtlichen Lebens gebrandmarkt.“
„Mit besserem Schuhwerk wäre Euch das vielleicht nicht passiert … oder mit überhaupt etwas an den Füßen.“
Vespa starrte für einen Moment ihre krummen Beine hinab. Ganze Schlammlawinen klebten zwischen ihren Krallen. Die Pfoten waren so voll von dem grauen Brei, dass sie wie in Asphalt einzementiert aussahen. Teils vorwurfsvoll, teils ungläubig öffnete sie den Mund. „Stiefel? Nein“, lachte sie. „Nicht diese Charr. Und nicht in diesem Leben. Ihr wisst gar nicht, was das für ein Gefühl ist, knöcheltief durch den Morast zu waten.“ Die Charr schüttelte sich leidenschaftlich. „Herrlich.“ Sie bezog an Rionas Seite Position. „Was macht unser Freund?“
Unten auf seiner Ackerscholle rieb sich der Bauer den nicht existierenden Schweiß von der Stirn. Nach nur kurzer Pause hielt er strauchelnd und mit geschulterter Hacke auf die nächste Furche zu. Das Werkzeug riss eine Breche in den Nebelvorhang. Schlamm spritzte aus dem lehmigen Boden auf Kleidung und Gesicht des Bauern. Es war ein Wahn, eine Manie, wie der Untote die Halsstarrigkeit seines unwirtlichen Grund und Bodens mit schweren Hieben bestrafte. Ein sich tagein tagaus wiederholender Kampf gegen ein Monster, dessen abgehackte Gliedmaßen wucherten wie Unkraut. Nur dass noch nicht einmal die widerspenstigsten und hartgesottensten Diesteln in dieses verdorbene Erdreich ihre Wurzeln schlagen würden.
Vespa kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Sie ähneln den Geistern in Ascalon. Ruhelose Gefangene der Zeit, ihrem Herrn treu bis über den Tod hinaus. Ein grausiges Schicksal … Drachenmagie scheint in ihrer Wirkung jedoch anders zu sein. Sie verdirbt Körper und Seele. Die Geister in Ascalon sind einfach nur Abbilder. Echos der Vergangenheit. Ihre Gebeine sind längst zu staub zerfallen, die Seelen verflucht auf ewig.“
„Darum könnt ihr sie nicht töten.“
Vespa nickte Riona grimmig zu. „Noch nicht. Wäre es möglich: Wir hätten es vor Jahrhunderten schon getan.“
Eine Minute des Schweigens brach zwischen den beiden Ordensfrauen an. Als sich Vespa an dem Bild der schuftenden Sklavenkreatur sattgesehen hatte, wandte sie sich direkt Riona zu. „Ich bringe Nachricht von Kriegsmeister Leddron: Ihr sollt zurückkehren. Er ist die Warterei leid.“
Riona rümpfte abfällig die Nase. „Ehrlich gesagt hatte ich schon viel früher damit gerechnet; ungefähr fünf Minuten, nachdem ich überhaupt aufgebrochen war. Fast schon ein Wunder, dass er überhaupt mit meiner Exkursion einverstanden war.“
Die Lefzen der Charr kräuselten sich zu einem verschmitzten Lächeln. „Eigentlich hatte er Euch bereits vor einer Stunde rufen lassen. Aber ich habe mir Zeit gelassen. Viel Zeit.“
Auch Riona schmunzelte. „Das wird dem Guten aber bestimmt gar nicht gefallen.“ Die Waldläuferin entfernte sich ein Stück von dem unbequemen Felsbrocken, der ihr in der Not als Sitzmöglichkeit gedient hatte. Als sie gähnend die steif gefrorenen Arme von sich wegstreckte, begann das Blut die steifen Gliedmaßen allmählich wieder aufzutauen. Es fühlte sich gut an.
„Was machen wir mit ihm?“ Vespa machte eine demonstrative Kopfbewegung in das Tal hinab. „Können wir ihn umgehen?“
Rionas Züge verfinsterten sich in Sekundenschnelle. Als die Waldläuferin ihren Bogen vom Rücken zog und Stellung am Klippenrand bezog, wusste Vespa bereits die Antwort. „Ich fürchte nein.“ Sie spannte einen Pfeil und richtete die Waffe auf ihr Ziel. „Schenken wir der armen Seele Frieden.“

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Eine schlichte, von fauligen Wasserpflanzen befallene Höhle diente als provisorischer Unterschlupf des Expeditionsteams. Gefundene Knochenreste und Kratzspuren an den Wänden deuteten darauf hin, dass hier einst wilde Tiere gehaust hatten, vielleicht Bären oder Wölfe. Anzeichen von einer kürzlichen Auferstandenen-Präsenz hatte es nicht gegeben; Grund genug, hier ein Lager aufzuschlagen. Wasser sickerte an manchen Stellen durch die poröse Decke. Jahrtausende in Wind und Wetter hatten das kalkhaltige Gestein undicht werden lassen. Dementsprechend feucht war es in der überschaubaren, spärlich beleuchteten Höhle. Noch vor dem Einzug hatte es Unstimmigkeiten zwischen den in ihren Denkweisen völlig unterschiedlichen Mitgliedern der Exploration gegeben, allen voran die Wachsamen. Ein Unterschlupf mit nur einem gemeinsamen Ein- und Ausgang? Eine Todesfalle! Was, wenn sie plötzlich in einen Hinterhalt gerieten? Wohin sollten sie ausweichen, wenn Gegnerscharen den einzigen Fluchtweg blockierten? Berechtigte Argumente. Doch auf die Frage, wo sie in der Schnelle einen besseren Unterschlupf ausfindig machen könnten, wussten auch die mürrischen Krieger keine Antwort. Außerdem hatten sich die beiden Gelehrten der Abtei Durmand nach Fund der Höhle geweigert, ohne Rast auch nur einen Schritt weiterzugehen. Die Agentinnen vom Orden der Gerüchte hingegen sahen wenig Grund zur Besorgnis. Die Tarnung, die ihnen dieser Ort bot, war ihrer Meinung nach die beste Verteidigung.
Recke Ekkill schob am Höhleneingang Wachdienst. Als noch rangjunger Wachsamer unterstand er dem direkten Befehl Kriegsmeister Leddrons, dem Leiter der Expedition. Ekkill hatte sich über die Art der Reise nur mäßig begeistert gezeigt. In der Illusion, seine Legende unter Abertausenden von Untoten, die seiner Klinge bei dieser Reise anheimfallen würden, formen zu können, hatte sich der Norn als Erstes freiwillig für dieses waghalsige Unterfangen gemeldet. Als er endlich die wahre Natur dieser Mission verstanden hatte, waren sie bereits auf halbem Weg zu den Zho’qafa-Katakomben, wo die Abtei Durmand mächtige Artefakte im Kampf gegen die Alt-Drachen vermutete. Das bislang Einzige, was Ekkills Stahl auf dieser Reise gekostet hatte, war eine stachelige, bauchnabelhohe Annemone am Höhleneingang, die der gelangweilte Norn mittlerweile in mundgerechte Stücke zerhackt hatte.
So weit es ihm möglich gewesen war, hatte sich Kriegsmeister Leddron in dem winzigen Unterschlupf von den zwei Abtei-Frauen und deren unverständlichem Gewäsch isoliert. Wie alle auf den Kampf Mann gegen Mann ausgebildeten Krieger bei den Wachsamen trug auch der ranghohe Charr eine schwere, anthrazitfarbene Plattenpanzerrüstung, geschmiedet in den höchst eigenen Brennöfen und für die Bedürfnisse jedes einzelnen Soldaten speziell angepasst. Noch nicht einmal eine einzige Komponente dieses wuchtigen Monstrums hatte Leddron während der Wartezeit von seinem Körper abgelegt, als befürchtete er, jeden Moment in voller Montur ausrücken zu müssen. Passend dazu hatte er die die unfreiwillige Geduldsprobe genutzt, seine Klinge auf Hochglanz zu polieren – zweimal. Leddron, dem man nachsagte, nichts und niemand könnte seinem kriegsgegerbten Gesicht je auch nur ein winziges Lächeln abringen, war weiter denn je von Entspanntheit entfernt. Auch Rionas und Vespas Rückkehr trug nicht im Entferntesten dazu bei, die nasskalte Tristesse, an der alle Anwesenden in der Höhle krankten, zu erhellen. Als die Späherin vor dem Expeditionsführer salutierte, hatten die Stiefel des monströsen Charr in ihrer Ungeduld bereits ein ziegelsteingroßes Loch in den weichen Untergrund gebohrt.
„Pünktlichkeit scheint euch fremd, oder warum habt Ihr euch so viel Zeit gelassen?“, tadelte Leddron die Ankömmlinge schroff. Sein grobschlächtiger Blick wanderte von Riona zu Vespa, wo er eine ganze Weile zum Stillstand kam. Je mehr schmutzige Details der Wachsame beim Taxieren der Charr-Diebin aufdeckte, desto angriffslustiger schien das hinter den Lefzen versteckte Zähnefletschen zu werden. „Ihr wart bei der Asche-Legion, nicht? Ist das die Art, wie man dort einen vorgesetzten Offizier empfängt?“ Seine Stimme wurde tiefer und nahm mehr und mehr die Form eines drohenden Unwetters an. „Eins könnt Ihr mir glauben: Wären wir in Ascalon und ich Euer befehlshabender Offizier – ich würde Euch auf der Stelle Euer räudiges Fell über die Ohren ziehen und es als Dreschflegel benutzen. Geht mir aus den Augen!“
„Glücklicherweise sind wir weder in Ascalon noch seid Ihr hier auch nur ansatzweise in der Position, mir etwas zu befehlen. Dennoch darf ich mich verabschieden. Mir wird die Luft hier doch etwas zu dick.“ Eine spöttische Verbeugung, ein Augenzwinkern – mehr brauchte die Charr-Diebin nicht, um sich ohne weitere Vorwarnung in Luft aufzulösen.

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Riona konnte nicht anders als den Schneid ihrer Partnerin zu bewundern. Vielleicht bekleidete die vorlaute Agentin nicht gerade den höchsten Rang beim Orden der Gerüchte doch auch nur, da sie – allen Verdiensten zum Trotz – ihre Ernennung zu einer Lichtbringerin abgelehnt hatte. Dieses ranghohe Amt des Ordens hielten nur wenige Mitglieder inne, unter anderem Riona. Doch mit den vielen Privilegien dieses Ranges folgten neben großer Verantwortung auch andere Aufgaben. Unangenehme Aufgaben. „Schreibtischarbeit“, wie es Vespa gerne betitelte. Und darauf könne sie gut und gerne verzichten. So blieb die Meisterdiebin weiterhin eine schlichte Agentin des Ordens – zumindest formell auf dem Papier, und leider auch aus der Sichtweise der Wachsamen mit ihrer kompromisslosen Vorstellung einer klar strukturierten, straffen Befehlskette.
Mit außergewöhnlicher Gleichgültigkeit wandte sich Kriegsmeister Leddron wieder der Späherin zu und forderte ihren Bericht an.
„Die Informationen der Abtei sind tadellos. Hinter einem Feld, etwa eine Meile südwestlich von hier, konnte ich auf den Klippen deutlich Säulen und die Spitze einer gewaltigen Statue ausmachen. Zweifelsohne handelt es sich um die Ruinen des alten Balthasar-Schreins. Der Eingang zu den Katakomben muss irgendwo darunter ruhen.“
„Aus dieser Entfernung? Und bei dieser Witterung?“ Argwöhnisch runzelte Leddron die Stirn. „Seid Ihr Euch absolut sicher?“
Riona verhärtete Gesichtsausdruck wie Schultern gleichermaßen. „Bei allem nötigen Respekt, Kriegsmeister: Ich erkenne das Abbild Balthasars, wenn ich es sehe. Auch aus Distanz.“
Der Charr hob eine Augenbraue, wirkte aber dennoch weiter unbeeindruckt. „Feindliche Aktivitäten?“
„Keine Patrouillen. Ein einziger Auferstandener auf dem Feld. Er wird uns keine Probleme mehr bereiten. Keine Zeugen“, ergänzte sie.
Nachdenklich kratzte sich Leddron am Kinn. „Und oben auf den Klippen? Am Schrein?“
Riona zögerte leicht. „Ich vermochte nichts zu erkennen, aber die Wahrscheinlichkeit ist groß. Bei allem, was wir von den Auferstandenen wissen, könnten Tempelpriester und Akolythen den Altar bewachen, so wie sie es schon vor Jahrhunderten taten. Ich schlage vor, wir nutzen den Schatten des Gebirges südlich des Feldes als Deckung. Es wäre nur ein geringfügiger Umweg und die Gebirgskette führt auf direktem Wege zum Fuße des Tempels. Zwangsläufig sollten wir irgendwann auf den Eingang zu den Katakomben stoßen. Die Alternative …“
„Ich kenne die Alternative!“, unterbrach Leddron die Späherin unwirsch. Einen Moment lang überlegte er, dann verscheuchte er knurrend den winzigen Gedanken eines Zweifels, der das grimmige Gesicht kurzzeitig getrübt hatte. „Nancy! Tebby!“ Er bellte die Namen der beiden Durmand-Gelehrten mit solch brachialer Gewalt durch den Raum, dass Nancys Federkiel, den sie gerade auf einem Dokument hatte ansetzen wollen, im hohen Bogen durch die Höhle flog. Kreidebleich und mit einem halben Papierkrieg unter dem Arm stolperte Nancy der Asura Tebby hinterher.
„Ich habe alles mitgehört, Kriegsmeister, und ich teile die Meinung der Lichtbringerin: Auf offenem Feld wären wir ein prädestiniertes Kanonenfutter. Wobei ich doch stark daran zweifle, dass die Orrianer ihre sakrosankten Tempel mit rudimentärem Kroppzeug entweihen würden. Da ist sicherlich mächtige Magie am Werk. Aber warum ein Risiko eingehen?“
Tebby machte dem Rest ihres zum gleichen Teil wissbegierigen wie schlagfertigen Volkes alle Ehre. Was die Asura nicht an Körpergröße wettmachten, kompensierten sie mit ihrem phänomenalem Verständnis und Auffassungsgabe. Dummerweise besaßen sie aber auch nicht selten – und ohne dies bewusst wahrzunehmen – ungefähr das gleiche Taktgefühl wie ein Haufen betrunkener Norn kurz vor einer Kneipenschlägerei. Zum ersten Mal wirkte Kriegsmeister Leddron tatsächlich so, als hatte man ihm den Wind aus den Segeln genommen. Zumindest für einen Augenblick.
„Ich hatte Euch nicht um Eure Meinung gebeten, Gelehrte!“
„Sondern?“
„Ruhe!“

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Leddrons verheerendes Machtwort hatte die Durchschlagskraft eines entladenen Vierpfünders. Der Rest von Nancys gesammelten Werken landete mit einem gewaltigen Klatschen auf dem Boden. Tebby, die den Mund gerade noch geöffnet hatte, blieb das Gedachte im Halse stecken. Ekkills pflichtvergessener Kopf tauchte kurz hinter einem Steinbogen nahe dem Höhleneingang auf, neugierig den Grund des erfrischenden Tumults zu erfahren. Ein einziger vernichtender Blick seines vorgesetzten Offiziers reichte auf, den Recken wieder zurück auf dessen Posten zu befehligen. Unheilvoll blähten sich die Nasenlöcher des Charr mit jedem seiner ungehaltenen Atemzügen. Teile seiner in Wut gesträubten Mähne glättete er ungewollt, als er sich mit einer grobschlächtigen Bewegung den Speichel vom Mundwinkel wusch. „Wenn die Herrschaften dann endlich wieder bei Kräften sind“, Leddron sah in furchtbar affektierter Manier die Abtei-Fraktion an, „und das Kätzchen seine Krallen wieder eingezogen hat“, diesmal galt sein Blick Riona stellvertretend für deren entschwundene Partnerin, „könnten wir uns dann endlich wieder unserer Mission widmen.“ Ein Widerspruch blieb von beiden Seiten aus. Bestätigt nickte der Expeditionsleiter knapp. „In zehn Minuten brechen wir auf. Der Papierkrieg hat bis dahin verschwunden zu sein, Nancy, und Eure Partnerin abmarschbereit zu sein, Riona! Weggetreten!“

Feiner Sprühregen setzte allmählich ein, als der Expeditionstrupp die Bergkette im Süden erreichte. Mit wachsender Distanz zu ihrer schützenden Zuflucht holte dasselbe unangenehme Gefühl die ungleichen Gefährten wieder ein, das sie auch bereits auf dem langen Hinweg heimgesucht hatte: Die beunruhigende Einbildung, aus freien Stücken tiefer und tiefer in das weit geöffnete Maul einer hungrigen Bestie hinunterzuklettern. Im trügerischen Schutze des düsteren Mantels, den der gewaltige Gebirgszug in inniger Umarmung über die Wanderer gelegt hatte, stank die Luft etwas weniger penetrant nach fauligen Pflanzen und verwestem Fleisch. Dafür fühlte sich die vom Regen durchtränkte Luft spürbar kälter an.
Der jahrhundertlange Wechsel von Ebbe und Flut hatte tiefe Narben in dem Felsmassiv hinterlassen. Zersetzt vom scharfen Salzwasser klafften tiefe Risse wie Falten in dem greisenhaften Felsgesicht. Mit zunehmender Höhe häuften sich überlappende Gesteinsschichten, einem gewaltigen Überbiss ähnlich, die meterweit aus dem Felsen hervorstanden. Es lag nahe, dass diese Formationen die ungefähre Höhe markierte, wo der Gebirgszug noch vor wenigen Jahren knapp aus dem Ozean hinausragte und somit Zielscheibe zerberstender Wellen geworden war. Ab diesem Punkt lösten auch die Schattierungen von kräftigeren Grautönen das schleimige Algengrün stufenweise ab, bis nichts mehr darauf schließen mochte, dass der Ozean die Ländermassen Orrs einst verschluckt hatte.

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Rionas Nacken hatte sich zu einem steif gefrorenen See verkrampft, während ihr besorgniserregter Blick von Stein zu Stein wanderte, die wie rasiermesserscharfe Zähne auf sie wirkten. Das gleichmäßige Pling Pling des Regens auf den Stahlrüstungen der Wachsamen gab den viel zu schnellen Takt ihrer Schritte vor, denn das lose, unförmige Geröll, das den holprigen Pfad säumte, ließ sie langsamer als erwartet vorankommen. Nur Vespas katzenartigen Reflexen und einem beherzten Griff an Nancys Kragen war es zu verdanken, dass die Gelehrte nicht bereits zum zweiten Mal – laut schreiend – eine unfreiwillige Begegnung mit dem harten Erdboden gemacht hatte. Riona wusste nicht, was schlimmer war: Nancy erneut dabei beobachten zu müssen, wie sie nur Sekundenbruchteile davon entfernt war, schreiend und Arm rudernd über den nächsten Stein zu fallen, oder Ekkills von Minute zu Minute lauter werdender Protest, seine Klinge wüsste schon gar nicht mehr, wann sie zuletzt einen Lebensfaden durchtrennt hätte, oder Tebbys ellenlange, einschläfernde Exkursion über die Viskosität von Krait-Öl zuhören zu müssen. Auch Kriegsmeister Leddrons Stimmung nahm ähnliche Bahnen wie das Wetter an. In einem Ausbruch roher Ehrlichkeit spuckte der Charr auf den Boden und knurrte, dass es vielleicht doch keine schlechte Idee gewesen wäre, mit wehenden Bannern auf den Tempel zuzumarschieren. Wenn sie dann fallen würden, dann zumindest ehrenvoll im Kampf, und nicht langsam dahinraffend durch ein Geschwür im Ohr.
Das Gelände wurde schwieriger. Hohe Felswände zu Ihrer Rechten machten es den Gefährten unmöglich, eine mögliche Gefahr frühzeitig zu erkennen. Links und rechts nur nackter Stein, und sie in der Schlucht gefangen ohne Deckung oder Fluchtmöglichkeit. Eine günstige Position für einen Hinterhalt von oben, wie Tebby richtig bemerkte. Leddron erstickte aufkommende Proteste im Keim. Weder würden sie umkehren, um einen anderen Weg zu suchen, noch das Hindernis umgehen. Deutlich mehr Überredungskunst verlangte es, als Leddron bis zu den Knien im eisigen Morast versank. Der Schutz von Rionas Stiefel und Brünne versagte angesichts dieser Übermacht der Natur. Als die Brühe Hüfthöhe erreichte, gab es keine Pore in ihrem Körper, die nicht vor unerträglichen Schmerzen bitterlich schrie. Und in Tebbys Fall … ihr reichte der Pfuhl wahrscheinlich bis zum Kinn. Erst aber auf halbem Weg durch den Pfuhl stellte man fest, dass die Asura noch nicht einmal einen kleinen Zeh in das Eiswasser gesetzt hatte. Kategorisch ablehnend wartete die Gelehrte, bis der Kriegsmeister seinem Recken – nach unerträglich langer Diskussion, die erst nach Androhung von lebenslangem Latrinenputzen endete – befehligte, umzukehren und die Sturheit der Asura damit zu belohnen, sie über den Sumpf zu tragen.
„Jetzt lässt der Regen nach. Jetzt!“ Vor Wut fauchend wandte Leddron seinen Blick dem Himmel zu. Blanker Hohn, wie die grauen Wolken ihm hässliche Grimassen schnitten und langsam weiterzogen. Die bunt zusammengewürfelte Prozession hatte ihr Ziel erreicht. Müde, schmutzig und demoralisiert. Dafür unbemerkt. Es war die erste und einzige Öffnung im Berg, die sie gefunden hatten. Dennoch waren Menschen, Charr, der Norn und die Asura zum ersten Mal der gleichen Meinung: Hier und nur hier musste es sein. Der Atem des Berges war so klirrend kalt, dass er an der Oberfläche sichtbare Formen annahm wie Qualm, der aus den Nüstern eines feuerspeienden Lindwurms quoll. Jemand hatte eine Fackel in der Eingangsnähe angebracht, deren Licht unheimliche Schatten auf die kahlen Höhlenwände warf. Die in den Stein gemeißelten Treppenstufen und die hohen Säulen bildeten einen surrealen Übergang zu der melancholischen Einöde der Oberwelt, zu den schroffen, kalten Mauern und dem penetranten Gestank von vermoderten Leichen, bei dem sich selbst das Fell beider Charr wild sträubte. Es war eine Totengruft.
So gut sie es konnte, verwischte Riona die verräterischen Fußabdrücke hinter ihnen. Die Waldläuferin kostete den Vorwand bis auf die letzte Sekunde aus, um ihre Lungen mit der deutlich erträglicheren Luft zu füllen. Erst, als sie es nicht mehr länger hinauszögern konnte, befreite Riona eine Fackel aus ihrer Halterung und tauchte als Schlusslicht der Gruppe in das Zwielicht der Krypta ein.

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Jede der Treppenstufen beantwortete die kleinste Bewegung mit einer beständigen Echo-Symphonie. Der Kanon leichten Schuhwerks, schwerer Stiefel und krallenbewehrter Pfoten erfüllte die klirrende Luft noch mit seinen hellen Klängen, als bereits die Schatten den Eingangsbereich wieder zu ewiger Nachtruhe betteten. Riona arbeitete sich an die Spitze der Gruppe vor – die Fackel in der einen und den in Leder gewickelten Knauf ihres Einhänders in der anderen Hand. Kurz nickte sie ihren Kameraden zu, dann setzte sich die Prozession wieder in Bewegung. Die anfängliche Sorge der Fackelträgerin, die Katakomben könnten bei ihrer Ankunft metertief unter Wasser stehen, hatte sich glücklicherweise als unbegründet herausgestellt. Die Restfeuchtigkeit in Wänden, Boden und Decke schimmerte gräulich-weiß in der kalten Luft, doch noch nicht einmal die kleinste Pfütze erinnerte daran, dass das Gewölbe vor Jahren noch überflutet war. Unglücklicherweise bestätigte das nur die Theorie des Ordens der Gerüchte: Für die ruhelosen Orrianer war dieser Ort heilig. Wie schon zu Lebzeiten pilgerten sie zum stillen Gebet in die Krypta hinab, um die Seelen der Verstorbenen zu ehren. Das erklärte auch etwas so Selbstverständliches wie die Fackeln, die umsichtig an den Wänden befestigt waren. Riona war sich sicher, dass ein derartiges Sakrileg, die schändliche Entweihung ihrer heiligen Stätte, mit Sicherheit nicht lange ungesühnt bleiben würde. Instinktiv beschleunigten sich die Schritte der Waldläuferin. Besser sie fanden das, was die Abtei zu finden erhoffte, bevor ein derartiges Szenario eintraf.
Mit dem Eingangsbereich in weiter Distanz wuchs die Höhle allmählich in Höhe und Breite, bis sie direkt in weitläufige Halle mündete, die mit je einer Abzweigung in jede Himmelsrichtung wie eine Kreuzung angeordnet war. Die spröden, deformierten Felsformationen an Wänden, Decke und Boden wurden von stellenweiße mit Raufreif überzogene Ziegeln abgelöst, die in den Berg gemeißelt wurden. Spinnenweben waren verschwunden. Dunkle Brandspuren an den Mauern bezeugten den Einsatz von Elementarmagie gegen das Unkraut und Gestrüpp, welches sich über die Jahrhunderte hinweg wie Korrosion durch den Stein gefressen hatte. Stützpfeiler, noch zu Anfang klobige, brüchige Monstrositäten, waren jetzt symmetrisch angeordnet und brillierten in Goldfarben. Fackeln gab es keine mehr, dafür Goldschälchen, in denen ein unnatürliches purpur-weißes Feuer knisterte. Antike Reliefs von Männern und Frauen, so hoch wie ein Norn, quälten sich mit grimmigen Mienen in je einigen Meter Abstand aus dem Mauerwerk. Darüber prangten orrianische Schriftzeichen – wahrscheinlich die Namen der hier Bestatteten. Nur gab es keine sichtbaren Grabsteine, keine Särge. Die Toten mussten wohl eingemauert sein, vermutete Riona.
„Bei der Bärin, was könnte man hier für einen Bierrat feiern! Wenn nur nicht der Nachschub so lange brauchen würde, hier einzutreffen.“
„Seid kein Narr! Glaubt Ihr wirklich, die Orrianer würden Euch und Eure Bande von Trunkenbolden hier ein Saufgelage veranstalten lassen?“, zischte Tebby den Norn an.
„Die werden erst gar nicht eingeladen. Und sollten sie trotzdem unangemeldet erscheinen, heißen wir sie mit gewetzten Klingen willkommen“, lachte Ekkill.
„Schluss jetzt! Alle beide!“ Ausnahmslos jeder im Raum zuckte alarmiert zusammen. Die kalten Wände warfen Kriegsmeister Leddrons wütendes Echo hundertfach zurück. Das bärbeißige Gesicht des Charr gefror, während er mehr über den Verlust seiner Selbstkontrolle als über die beiden Streithähne leise zu fluchen begann. Riona und Vespa tauschten besorgt Blicke, bevor sie den Weg vor und hinter ihnen mit ihren Blicken absicherten.
„Zuhören, alle! Wir sind so weit gekommen und wir werden nicht mit leeren Händen zurückkehren. Aber zurückkehren werden wir, verstanden?“ Leddron zuzuhören, wie er mit gedämpfter Stimme sprach, war mehr wie ein Knurren einzuordnen als ein Flüstern. Aber es war ihm ernst. Ernster als je zuvor. „Riona, Ihr und Nancy untersucht den Westflügel. Ekkill und Tebby übernehmen den Ostflügel. Dreht jeden Stein um, wenn nötig, und nehmt alles mit, was auch nur Spuren von Magie aufzeigt. Nachtpirsch, Ihr sichert unseren Rückweg, während ich den gegenüberliegenden Korridor …“ Leddron geriet ins Stocken, als er feststellte, dass die kleine Asura bereits auf eigener Faust zum Ostflügel unterwegs war. Wie er es dabei noch schaffte, seine Wut weiterhin zu einem leisen Knurren zu dämpfen, war Riona ein Rätsel. „Bei der Klaue des Kahn-Ur! Recke, ihr nach! Und ihr anderen, Abmarsch!“
Es fiel Riona schwer, in Anbetracht von Tebbys ungeheurer Forschheit ein verstohlenes Grinsen zu leugnen. Die Asura mit ihrem watschelnden Gang bog bereits um die Ecke, als der Norn noch auf halbem Weg zu ihr war. Nancy tauchte an Rionas Seite auf. Die Abtei-Gelehrte teilte das Lächeln der Lichtbringerin, wenn auch etwas gequält. Vespa winkte ihrer Gefährtin vom Orden zu, dann verschmolz sie mit den Schatten.

[Kurzgeschichte]: Winde des Zerfalls

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Die Kammer im Westflügel besaß nur einen schwachen Bruchteil der zurückgelassenen Imposanz. In jeder Ecke des quadratischen Raumes waren schwungvolle Haltevorrichtungen aus Eisen angebracht. Auf den Schälchen darauf brannte dasselbe purpur-weiße Feuer wie im Vorraum, nur waren diese aus Kupfer, statt aus Gold. Die Luft war etwas wärmer, dafür stickiger und stank fürchterlich nach einem Gemisch, das Riona als Weihrauch und verschiedenen Nadelhölzern identifizieren konnte. Ein Großteil des Raumes wurde von vielen kniehohen Krügen in Anspruch genommen, die mit akribischer Genauigkeit neben- und untereinander positioniert waren. Riona lief ein eisiger Schauer über den Rücken, schlimmer sogar noch, als sie fast bis zum Bauchnabel durch das Eiswasser gewatet war. Es handelte sich um Begräbnisurnen.
„Nancy, wollt ihr Euch das nicht ansehen? Nancy?“
Die Gelehrte reagierte erst beim zweiten Ansprechen. „Ja, gleich“, fuhr sie zerstreut aus den Gedanken. „Dieses Feuer … So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Die Nasenspitze der Abtei-Frau war nur noch so weit von der Schale entfernt, dass Riona glaubte, jeden Moment müssten die Augenbrauen Feuer fangen.
„Verbrennt Euch nicht!“, mahnte Riona, doch zum gleichen Zeitpunkt tauchte Nancy ihr Gesicht in die Schale. Riona entfuhr ein spitzer Schrei, den sie nur im letzten Moment mit der geöffneten Hand vor dem Mund abdämpfen konnte. Sie setzte bereits zum Spurt an, als Nancy den Kopf wieder anhob – und der Lichtbringerin gelassen zulächelte.
„Lauwarm. Versucht es ruhig.“
Erleichtert atmete Riona aus. „Dafür, dass Ihr keinerlei Erfahrung mit dieser Magie habt, geht Ihr ziemlich leichtsinnig damit um. Nicht vielleicht etwas zu leichtsinnig?“ Sie bemühte sich, nicht vorwurfsvoll zu klingen, schließlich hatte sie es mit einer erwachsenen Frau zu tun, und dann noch von der Abtei, nicht mit einem Kleinkind. Doch eine derartige Sorglosigkeit war ihr bislang nur selten untergekommen.
„Ich war mir ziemlich sicher, dass nichts passieren würde. Siebzig … nein, achtzig Prozent“, korrigierte die Gelehrte noch immer lächelnd.
Kaum erkennbar schüttelte Riona den Kopf und trat an das Licht der Schale heran. „Ihr redet wie eine Asura“, sagte sie zu Nancy gewandt.
Diese zuckte die Schultern. „Vielleicht. Ich habe die letzten Jahre fast ausschließlich mit ihnen verbracht. Sie sind gar nicht mal so schlimm, wie die Leute immer behaupten. Nur manchmal etwas mürrisch, wenn man sich beispielsweise ein Buch zu lange ausleiht.“
Interessiert, wenn auch vorsichtig näherte sich Rionas Zeigefinger der Schale, die zuvor Nancys Test bestanden hatte. Es war lauwarm, irgendwie lindernd. „Ihr wart in Rata Sum?“, fragte die Lichtbringerin. Auf einen zweiten Test ließ sie es nicht ankommen.
Nancy schüttelte den Kopf. „Oh nein, nur mein Arbeitsplatz in der Abtei ist für gewöhnlich die Bibliothek.“ Sie zwinkerte Riona zu. „Man könnte behaupten, alle Asura, die zur Abtei gehören, würden dort wohnen. Tebby zum Beispiel: Wuselt tagein tagaus in den Gängen herum wie eine großspurige Maus. Ich bin in meinem Leben eigentlich noch nie sonderlich viel rumgekommen“, überlegte die Gelehrte laut und mit abgewandtem Blick. „Geboren und aufgewachsen bin ich in den Zittergipfeln. Meine Eltern gehörten schon der Abtei an, als ich noch ganz klein war. Ich bin quasi hereingewachsen. Und Ihr?“
„Aus Shaemoor, einer kleinen Siedlung südlich von Götterfels. Meine Vorfahren allerdings waren gebürtige Ascalonier. Nach dem großen Feuer vor fast 300 Jahre zogen sie mit anderen ascalonischen Flüchtlingen über die Zittergipfel und ließen sich in Kryta nieder. Nur wenige Erbstücke aus unserer alten Heimat haben die Zeit überdauert. Mittlerweile fließt wohl auch mehr krytanisches als ascalonisches Blut in unseren Adern. Meine Schwester und ich sind diesbezüglich zwar unterschiedlicher Meinung, aber ich betrachte Shaemoor und Kryta nun als meine Heimat.“ In stiller Nostalgie an ihr Zuhause ziepte Rionas Herz sehnsüchtig auf. Bessern wollten sich ihre Gefühle auch nicht, als sie unerwartet den Geschmack von Edas frischgebackenem Apfelkuchen auf der Zunge und eine warme krytanischen Brise auf der Haut spürte. „Sie ist übrigens auch in der Abtei Durmand. Vielleicht kennt Ihr sie?“, versuchte Riona das Gespräch wieder auf andere Bahnen zu lenken, fern den Gedanken an ihre Heimat.
Erneut schüttelte Nancy den Kopf. „Höchstens flüchtig aus Vorlesungen. Ich … verkehre relativ selten mit anderen Leuten. Ich bin lieber bei meinen Büchern.“
„Ihr seid sehr weit von der Behaglichkeit einer Bücherei entfernt“, stellte Riona fest, „wie kommt das?“

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Nancy lächelte matt. „Das falsche Wort zur falschen Zeit – schon ist es herum mit der Gemütlichkeit. Außerdem meinte Gixx – er leitet die Abtei, unser Kopf sozusagen -, dass es allmählich Zeit sei, für meinen ersten Einsatz im Feld. Hätte ich gewusst, wo mich mein Interesse für die orrianische Sprache eines Tages hinbringen würde, hätte ich lieber ein anderes Fach belegt, Zwergenrunen zum Beispiel. – Seid so gut und gebt mit bitte die Fackel, ja?“
Das purpur-weiße Feuer in der Schale reagierte sehr empfindlich, als die brennende Fackel näher rückte. Stück für Stück verdrängte das gewöhnliche Feuer das von Magie geschaffene, als ob man ein wildes Tier in die Ecke trieb. Dann plötzlich und ohne weitere Vorwarnung fuhr die zurückgedrängte Bestie Klauen und Zähne aus. Die Funken der Schale sprangen in Sekundenschnelle auf die Fackel über. Nancy keuchte vor Schreck. Als sie sich wieder fasste, war das orangefarbene Licht der Fackel erloschen – und das lauwarme, purpur-weiße brannte darauf.
Die Gelehrte musterte die Fackel atemlos. „Verschlungen. Faszinierend.“
„Und das? Habt Ihr das kommen sehen?“, fragte Riona.
„Und das? Habt Ihr das kommen sehen?“, fragte Riona.
„Um ehrlich zu sein, nein. Als Elementarmagierin habe ich schon viele Formen von Magie studiert. Die Magie der Flammen-Legion, elonische Magie … Doch noch nie war sie in ihrer Signatur so unterschiedlich wie dies hier.“
Riona runzelte die Stirn. „Signatur?“
„Ja, wusstet Ihr das nicht? Jede Form von Magie trägt eine Signatur in sich. Einen Stempel sozusagen.“
„Mesmer nutzen Illusions- und Beherrschungsmagie. Elementarmagier schöpfen aus den Elementen.“ Riona zuckte die Schultern. „Allgemein bekannt. Aber Eure Umschreibung ist mir fremd.“
„Ja, das ist richtig, aber darauf wollte ich nicht hinaus“, erwiderte sie kopfschüttelnd. „Das ursprüngliche Feuer der Fackel beispielsweise, das Ihr mitgebracht hattet. Ich konnte spüren, dass sie magisch entfacht wurde, unterschied sich aber in seiner Signatur völlig von meiner Elementarmagie, obwohl es letztendlich nur ein- und dasselbe ist, nämlich Feuer. Hätte ich diese Fackel mit meiner Magie entzündet, wäre nur rein optisch dasselbe Feuer gewesen.“
„Als ob zwei verschiedene Schmiede denselben Stahl verarbeiten. Das Ergebnis wird immer unterschiedlich sein.“
„Im Grunde richtig“, nickte Nancy. „Die Asura beschäftigen sich mit diesem Phänomen schon seit Jahrhunderten. Und auch, wenn sie es nicht gerne zugeben, so stehen sie eigentlich immer noch am Anfang ihrer Forschungen. Außerdem scheint es eine Ausnahme dieser Regel zu geben, die sämtliche bislang erzielten Ergebnisse völlig auf den Kopf stellt: In ihrer Magie scheinen die Orrianer alle dieselbe Signatur zu tragen, obwohl das eigentlich völlig unmöglich ist und allem widerspricht, was wir über Magie wissen … oder zu wissen glauben. Und das hier“, sie drehte die Fackel zu allen Seiten, „ist mir ebenfalls völlig unbegreiflich. Es ist keine mir bekannte orrianische Magie. Aber was dann? Eine Unterart? Ist es vielleicht sogar Drachenmagie? Wo fand sie ihren Ursprung. Was ist ihr Katalysator? Was ihre Anwendungsmöglichkeiten?“ Nancy seufzte. „So viele Fragen, so wenig Zeit …“
Riona beobachtete, wie die Flammen auf dem Docht der Fackel tanzten. Eine unmittelbare Gefahr schien von der ungewöhnlichen Lichtquelle nicht auszugehen. Behutsam nahm sie das unnatürlich kühle Feuer entgegen. „Wir könnten es mitn…“
Ein von Qualen durchzogener Schrei durchschnitt die Luft, erschütterte Mark und Bein und hämmerte noch in den Ohren aller, die ihn vernommen hatten, als die Stimme längst verklungen war. Riona wirbelte herum. Ihr Herz bebte so heftig, dass es schmerzte. Es war aus der Vorkammer gekommen. Genau genommen: aus der gegenüberliegenden Nische. Der Ostflügel.
„Tebby!“, schrie Nancy entsetzt. Sie rannte los; Riona ihr hinterher.
Aus tiefster Kehle stieß Ekkilll einen wütenden Schrei aus. Einen Moment später erzitterte die Erde. Etwas Großes donnerte mit geballter Wucht auf den Boden, dass noch in der großen Halle feiner Staub von der Decke rieselte. Als Riona, Nancy und wenige Sekunden später auch Leddron und Vespa die Kammer füllten, lag der Angreifer wieder leblos in dem kunstvoll dekorierten Sarg, aus dem er entstiegen war. Kopf, Schultern und der halbe Oberkörper fehlten, zerschmettert und zu Staub zermahlen von Ekkills Streitkolben, den er noch in der einen und sein Schwert in der anderen seiner zitternden Hände hielt. Die Asura lag daneben, die Robe blutgetränkt, ein Dolch im Zentrum der sich rasch ausbreitenden Lache. Tebbys Augen waren in Entsetzen weit aufgerissen, der Mund in Ungläubigkeit halb geöffnet, die Glieder schlaff. Sie war tot.
Erst noch gelähmt vor Schreck, warf sich Nancy schluchzend vor den regungslosen Körper der Asura, ihre Arme fest um den Hals ihrer verstorbenen Abtei-Kameradin verschlungen.

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„Es geschah so schnell“, begann der Norn mit brüchiger Stimme, als er den anklagenden Blick seines Vorgesetzten auf sich spürte. „Tebby wollte den Sarg öffnen. Ich weigerte mich, Ihr zu helfen. Sagte Ihr, man solle die Toten in Frieden ruhen lassen. Sie wollte nicht hören. Meinte, ich sei ein unbrauchbarer Depp. Dann öffnete sie den Deckel. Ich habe nur kurz weggesehen … da hatte ihr dieses feige Scheusal bereits den Dolch ins Herz gerammt. Nicht einmal die Schneeleopardin hätte das kommen sehen.“
Nancy heulte laut auf. Bittere Tränen blitzten zwischen ihren Wangen und dem Kragen der gerade Verstorbenen.
„Nancy …“ Pelziger Flaum bedeckte Rionas Zunge. Kaum ein Wort vermochte sie ihren trockenen Lippen zu entlocken. Die Beine der Waldläuferin zitterten heftig, als sie neben der Trauernden niederkniete, die tauben Hände von einer dicken Eisschicht umgeben. Dennoch legte sie jene, die nicht gerade den Griff der Fackel umklammerte, der Frau mitfühlend auf die Schultern.
Dann wurde es still. Nur das Wehklagen der Gelehrten war zu hören, abgerundet von dem müden Flackern der Fackel.

Ein gedämpftes Stimmenwirrwarr riss die den Trauervorhang gewaltsam entzwei. Ächzend. Klagend. Vor allem aber: Wütend Fingernägel kratzten auf Stein wie auf einer Schiefertafel. Wände und Boden der Höhle begannen zu beben, selbst die Einkristalle in der Luft vibrierten. Vespa machte einen Satz zu der Öffnung, die zur Haupthalle führte. Dem braunen Fell schwand rapide die Farbe. Haare und Liebsche richteten sich steil zu Berge.
Mit instinktiv gezückten Dolchen in den Händen wirbelte sie herum, das Gesicht vor Angst verzerrt. „Auferstandene!“ Die Charr machte keinen Hehl mehr daraus, ihre Hysterie durch ein Flüstern zu maskieren. Dafür war es bereits zu spät.
Wie winzige Pendel schwangen die schweren Bodenplatten in dem fahlen Licht hin und her. Erste Fliesen donnerten mit gewaltigem Knall auf die Seite. Unterhalb des feinen Staubrinnsals, der von der Decke rieselte, krochen die ersten Orrianer, die körperlich Kräftigsten unter ihnen, aus ihren Gräbern. Unter Qualen rissen sich die ausgezehrten Männer und Frauen die zerfledderten Balsambandagen vom Leib. Grausame Abscheulichkeiten kamen unter den Verbänden zum Vorschein. Skelettartige Schädel, in deren weiten Augenhöhlen Magie wie kalter Hass funkelte. Gesichter, Arme und Beine besaßen mehr Ähnlichkeit mit altem Pergament als mit menschlicher Haut. Teilweise waren die Wangen und Stirnen mit unansehnlichen schwarzen oder grünen Löchern übersäht, in denen Maden sich eingenistet hatten. Unterhalb ihrer Verbände trugen die meisten Orrianer keine oder nur wenige Kleidung; brüchige Lumpen, kurz davor zu Staub zu zerfallen, oder nackte Brustkörbe, deren Knochenpartien unter der Haut weit hervorstanden, als ob man ein hauchdünnes Betttuch viel zu straff gespannt hätte. Doch einige unter ihnen waren auch in edlere Trachten gehüllt. Lange, weite Roben oder Mäntel, schmuckvoll verziert, die kräftigen Farben jedoch im Laufe der Jahrhunderte zu aschfahler Tristesse verkommen. Erlesene Armbänder, Goldketten und Perlen hielten die Illusion von Glanz und Erhabenheit beharrlich aufrecht, während das verrottete Fleisch die Realität bittere Lügen strafte. Nicht wenige die Ruhelosen trugen Waffen bei sich. Dolche, Kurzschwerter manche auch Zweihänder oder Äxte. Wahrscheinlich Habseligkeiten ihres früheren Daseins. Das Alter stand den Klingen jedoch äußerst schlecht. Rost hatte sie porös und stumpf werden lassen, was die Auferstandenen jedoch nicht von der Verwendung abhielt.
Während Leddron und Ekkil noch mit gezogenen Waffen zum Ausgang der kleinen Kammer stürmten, hatte Vespa bereits zwei Auferstandene wieder zurück in ihr feuchtes Grab befördert. Wann immer die Charr eine ruckartige Bewegung machte, verschwammen die dunklen Konturen ihrer Rüstung in einer Bresche aus Licht und Schatten. Schwarze Schemen flackerten auf, mal hier, mal dort. Das jähe Auffunkeln eines Dolches, kurzlebig wie der letzte Atemzug des ausgewählten Opfers. Die Klinge trennte Kopf von Schultern. Arme und Beine des Enthaupteten erschlafften, der restliche Körper sackte leblos zusammen. Auferstandene links und rechts heulten vor Wut laut auf und straften den rasch dahinschmelzenden schwarzen Schleier mit verzweifelten Hieben ihrer rostigen Klingen. Doch bereits am anderen Ende des Raumes schälten sich Vespas Konturen erneut aus den Schatten, die Dolche abermals auf das nächste Ziel gerichtet.

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„Nancy! Wir müssen hier raus!“ Eindringlich rüttelte Riona an der blauen Gelehrtenrobe. Sie reagierte nicht. „Nancy!“
Von jenseits der Kammer übertönte Ekkils frenetischer Kampfschrei alles bisher Dagewesene. Schwert und Streitkolben brandeten auf eine unendliche Flut fauligen Fleischs, zerstückelten das Ziel grobschlächtig entzwei oder zertrümmerten ganze Gliedmaßen zu einem undefinierbaren Brei. Der nächste Aufwärtshaken seines Streitkolbens barst den Kiefer des mit erhobener Waffe heranstürmenden Untoten. Schleim und gräuliche Fleischfetzen spritzten in alle Richtungen und sprenkelten das zu einer diabolischen Fratze verformte Gesicht des Norn. Die Wucht katapultierte den Untoten rücklings meterhoch durch die Luft, wo er irgendwie in einem Meer näher rückender Sklavenkreaturen unterging. Augenblicklich nahm ein anderer Angreifer den Platz seines Vormannes ein. Geistesgegenwärtig tauchte Ekkil unter dem rostigen Axthieb hindurch und antwortete seinerseits mit einem Schwertstich durch den Brustkorb des Angreifers. Bis zum Schaft rutschte die Klinge durch die schleimigen Eingeweide. Strauchelnd taumelte der Untote zurück, die Äxte in beiden Händen noch wild um sich rotierend, bevor er stürzte. Doch der gewaltige Ruck, mit dem der Orrianer zu Boden ging, ließ Ekkils Griff um die schleimverschmierte Klinge, die noch immer in dem Brustkorb steckte, entgleiten, sodass der Angreifer das Schwert mit sich riss. Überrascht betrachtete Ekkil seine plötzlich leere Hand, dann den Untoten, den er zwar soeben niedergestreckt hatte, der aber am Boden noch immer beiden Äxte kreisen ließ, dann das Schwert zwischen den unheilvoll umherschwingenden Klingen, dann wieder seine leere Hand. Bevor er seine Gedanken zu Ende bringen konnte, spürte er plötzlich einen gewaltigen Stoß auf der Schulter. Heißer, fauliger Gestank stieg ihm in die Nase. Die Luft blieb ihm weg. Magere Arme schlangen sich um seine Kehle, während brüchige Knie ununterbrochen auf den Rückenpanzer eintraten. Fast ausdruckslos griff Ekkil hinter sich. Mit einem gewaltigen Ruck und dem Geräusch, als ob man gerade einen morschen Baum gefällt hätte, befreite er sich von der orrianischen Bürde auf seinem Rücken und schleuderte die Last quer durch den Raum. Dem Norn blieb weder Zeit, den Verlust seines Schwertes lange zu betrauern oder über den ausgerissenen, zuckenden Arm seines Angreifers, den er jetzt anstelle seines Schwertes in Händen hielt, angewidert zu sein. Schon rückte der nächste Auferstandene nach. Neben dem Streitkolben in der linken Hand diente jetzt das zappelnde Gliedmaß in seiner Rechten als notdürftiger Dreschflegel – den er auch gleich einsetzte.
Unter den beißenden Verwesungsgestank mengte sich der scharfe Geruch von Schießpulver. Viermal, fünfmal … Jedes unheilvolle Klicken von Leddrons Abzug würzte die Luft mit einer Verderben bringenden Bleimischung. Während der tödliche Odem Leben für Leben aushauchte, besaß er gleichzeitig die Wirkung eines Weckrufes. Langsam erhob sich im Nebenraum Nancys Haupt. Die Augen verquollen und die Wangen gerötet schaute sie Riona an. Verzagend schüttelte die Gelehrte den Kopf. „Das … hat sie nicht verdient“, stammelte sie. „Nicht so … Nicht so …“ Weitere Tränen kullerten ihr dabei über das Gesicht.
Riona kämpfte mit ihrem Gewissen. Sie viel, was sie in diesem Moment sagen könnte. So viel, was sie tun könnte. Nichts aber, was Nancys Gefühlen wirklich gerecht wurde … oder Tebbys Opfer. Stattdessen stimmte sie wortkarg in Nancys Kopfschütteln ein. „Nein, hat sie nicht …“
Selbst im Nebenraum klang die letzte Explosion der abgefeuerten Pistole noch so brachial, als ob sie direkt an Rionas Schläfe saß. Beide Frauen zuckten zusammen. Es war wohl der letzte Schuss, denn plötzlich war das Schießeisen verstummt. Auch diente es Riona glücklicherweise als Ausrede: Nancy erhob sich ganz von selbst. Knie und Hände der Gelehrten zitterten, doch sie stand auf eigenen Beinen.

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Der Strom von fauligen Untoten riss nicht ab. Waren die Gräber zwar mittlerweile erschöpft, hatte der Lärm jedoch weitere Auferstandene jenseits der Halle alarmiert. Von der nördlichen Passage her kommend schlossen sich weitere Diener des Drachen dem Konflikt in den Katakomben an: Akolythen, die zu Lebzeiten betörenden, jugendlichen Gesichter von Verderbnis entstellt, Tempeldiener und sogar Priester. Es waren jene, die zu Lebzeiten die körperlichen Überreste in der Gruft beigesetzt hatten. Jetzt kämpften die versklavten Kreaturen unter gemeinsamen Banner Seite an Seite. Leddron hielt gleich fünf Orrianer auf einmal – mehr mit seinem schäumenden Zähnefletschen als mit dem Großschwert – in Schach. Vor dem Charr türmten sich abgehackte Gliedmaßen wie Brennholz auf. Irgendwo dazwischen lag die Pistole; das letzte Blei gewaltsam aus dem silbernen Lauf gequetscht und der Kolben zertrümmert, nachdem Leddron die Waffe als Knüppel zweckentfremdet hatte. Sein Glück stand auf Messers Schneide. Immer mehr Raum büßte der Charr zwischen seinem eigenen Stahl und den verrosteten Klingen ein. Fauchend preschte eine Kreatur vor, als sich eine Lücke in der Verteidigung des Wachsamen aufgetan hatte. Leddron parierte den Schlag mit seiner eigenen Klinge und stieß den Angreifer wütend zurück. Doch das gewährte gleich den anderen vier Orrianern eine Möglichkeit – die sie auch nutzten.
Rionas Schwert raste heran. Die Wirbelsäule des Auferstandenen knirschte bei Kontakt mit dem Stahl kurz auf, darauf zerbarst sie und trennte Unter- von Oberkörper, woraufhin das Leuchten der Magie in den Augen verschwand. Mit der anderen Hand schwang Riona die Fackel, als hielte sie den Kopf eines fauchenden Drachen in Händen. Die Untoten stoben auseinander; wütend, manche sogar sichtlich verängstigt, doch gleichermaßen mit unnachgiebigem Kampfwillen.
„Wir müssen hier raus!“, schrie Riona Leddron zu. Selbst durch die Todesschreie dahinscheidender Orrianer und das Stakkato klirrenden Metalls vernahm sie die Furcht in ihrer Stimme.
Die Auferstandenen zogen ihren Kreis um die zwei Verteidiger allmählich wieder enger. Das violette Feuer der Fackel bleckte die Zähne – eine Schwelle, die die Messer und Schwerter der Auferstandenen nicht überqueren wollten. Oder konnten.
Statt gleich zu antworten, trennte Leddron mit einem Aufwärtshieb den aufdringlichen Schwertarm eines Aggressors vom restlichen Körper. Der Ausgang befand sich in weiter Distanz. Verweilen konnte sie jedoch auch nicht. Und weitere Untote rückten bereits von Norden her nach.
„Ich decke Euren Rücken, wenn Ihr meinen deckt. Los!“ Widerworte erwartete Leddron nicht – womit er auch recht hatte. Mit einer unmissverständlichen Kopfbewegung signalisierte Leddron Riona, ihm zu folgen.
Auch Nancy hatte die Anweisung vernommen und dirigierte sich selbst auf einem blutigen Pfad in Richtung ihrer Gefährten. Der Schmerz um den erlittenen Verlust war zu kaltem Abscheu geworden, Abscheu zu vernichtender Magie. Die Haare ihres geflochtenen Zopfs standen ihr zu Berge, während die Gelehrte die Elemente anrief. Unablässig webte sie komplizierte Muster in die aufgepeitschte Luft. Binnen Sekunden nahm die Magie feste Gestalt an. Objekte formten sich in der Luft. Einen Meter lang und mindestens zwei fingerbreit, bläulich-weiß schimmernd, mit schier endlos gezackten Dornen an beiden Enden, dass allein ein bloßer Blickkontakt genügte, um das bloße Auge bluten zu lassen. Es waren Speere aus massivem Eis, dampfend vor einer brutalen Kälte, wie sie nur in der Unterwelt existieren konnte. Mit der Leichtigkeit einer spitzen Nadel durchbohrten die tödlichen Geschosse das verfaulte Fleisch, als wären es Tücher. Ein losgeschossenes Projektil wurde sogleich von dem nächsten ersetzt, nicht weniger verheerend als das letzte. Nancy überbrückte die verbliebene Distanz zu Riona und Leddron mit einem weiten Satz über gleich drei zur Strecke gebrachte Auferstandene, die sie zuvor mit einem einzigen Speer gemeinsam gepfählt hatte. Eine Lache aus Schleim und Eingeweiden ließ sie straucheln, bekam dann aber noch Leddrons Schulterschutz zu fassen und fand somit ihre Balance.

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Die Reihen der Auferstandenen im Südflügel hatten sich gelichtet. Nancy sicherte den Fluchtkorridor; derselbe Weg, den sie ursprünglich gekommen waren. Er war verlassen. Nächst zu ihren Kameraden entstieg Vespa aus einem lichtfressenden Vakuum. Schwere, metallische Atemzüge verformten das sonst so geruhsame Gesicht zu unerbittlicher Erschöpfung. Schweiß glänzte auf dem rostbraunen Fell. Ein feines Blutrinnsal quoll aus einer unförmigen Wunde am rechten Oberarm. Einen ihrer Dolche hatte sie im Kampf um das Überleben verloren. Passend dazu klebten in den ausgefahrenen Krallen ihrer rechten Pranke faulige Fleischreste, „Souvenirs“, wie sie beiläufig mit grimmiger Miene scherzte.
Trotz etlicher Verletzungen, nahezu überall, wo kein hartes Metall Ekkils Haut bedeckte, kämpfte der Norn mit unverminderter Härte erbittert weiter. Erschöpfung hatte jedoch sein zu Anfang noch wildes Grinsen abgelöst. Wann immer er sich nicht gerade mit langsamer Rückwärtsbewegung Richtung Ausgang bemühte, zerfetzten seine schleimbeschmierten Stiefel die morschen Schienbeine vor ihm, während die kräftigen Hiebe seines Streitkolbens Schädel wie Nüsse knackten und sein schmutziges Gesicht mit weiterem Eiter befleckte. „Bei der Nase des Wolfes!“, röchelte er. Ihm war mittlerweile speiübel. Nancys Eisspeere verschafften dem Norn etwas Spielraum zu dessen Rechten. Einmal noch zertrümmerte der Streitkolben einen Kiefer, dann setzte Ekkil zum Spurt Richtung Ausgang an – ein Rammbock, der keine Kompromisse machte.
Nichts wollte dem Krachen gleichkommen, das die Geräuschkulisse sprengte. Ekkil schnürte es die Kehle zu, das Gesicht brannte in jähen Schmerzen lodernd auf, bevor es ihn rücklings zu Boden warf. Unversehens schnitt ein kaltes, bellendes Lachen die panischen Rufe nach Ekkils Namen ab. Ein schlaksiger Mann trat aus den Reihen der Auferstandenen am Ende des Raumes hervor, in seinem stolzierenden Gang und den schwarzen Augen gleichermaßen nichts als blasierte Verachtung. Nur in wenigen Details unterschied sich sein Gesicht von dem der anderen Orrianern: Ein in die Jahre gekommenes, hauchdünnes, löchriges Betttuch, das sich gewaltsam um den ausgebleichten Schädel spannte. Die rechte Ohrmuschel der Kreatur fehlte, ebenso ein Teil der Nase, an deren Stellen nun rußige Löcher klafften. Die Kleidung, jetzt zwar verwaschen und porös, zeichnete sich jedoch deutlich von den anderen Roben und Gewändern ab, wirkte bei näherer Betrachtung sogar aufsehenerregend. Unter dem extravaganten Rüschenkragen zogen sich schmale Silberstreifen je links und rechts über die Brust des schwarzen, langen Ornats. In dem Zwischenraum waren goldene Symbole eingestickt – orrianische Schriftzeichen, die denen auf den Gräbern ähnelten. Horizontal um die Stirn spannten sich zwei Bänder, die der juwelenbedeckten, pilzförmigen Haube den notwendigen Halt gab. Um den schlanken Hals schlang sich eine Goldkette, an der in Brusthöhe ein reich verziertes goldenes Amulett befestigt war. Die spindeldürren Finger seiner rechten Hand umklammerten den Schaft eines Ebenholzstabes, dessen längeres Ende wie eine zackige, fast halbe Meter große Muschel aussah, oder aber schrecklich an den Brustkorb eines ausgeweideten Tiers erinnerte. In stiller Ehrfurcht wichen die Seinen zurück.
Auch Nancy wich zurück. Stolpernd. Aus Angst. Die Gelehrte hauchte etwas, was sich Riona mit viel Phantasie als „Hohepriester“ zusammenreimte.

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„Frevler! Erfahrt Eure gerechte Strafe!“ Ein wässriges Gurgeln quoll aus dem Rachen der Kreatur. Den Stab wie einen Speer auf die Eindringlinge gerichtet, ließ die muschelförmige Spitze ein wütendes Grollen verlauten. Ein Sturm blauer Blitze stob heraus, schnalzten über den Boden. Leddron, an vorderster Stelle, hob noch das Schwert in Verteidigungshaltung, doch bereits der erste Blitz riss ihm die Waffe gewaltsam aus der Hand. Leddrons Schneide segelte noch durch die Luft, als die nachfolgenden Funkenstöße den Charr in einem unbarmherzigen Meer von Qualen ertränkten. Erst nur auf die Knie gezwungen, krümmte und zuckte Leddron kurz darauf vor Schmerzen schreiend wie ein Wurm. Rionas Fackel fiel scheppernd zu Boden. Ein Pfeil verließ die Sehne ihres blitzschnell gespannten Bogens. Ein Eisspeer von fast zwei Metern jagte dem Geschoss hinterher. Nicht ein Muskelzucken und keine Miene verzog der Hohepriester, als das Projektil kurz vor seinen Augen in hohem Bogen abprallte, als ob eine unsichtbare, meterdicke Steinmauer zwischen ihm und dem Pfeil stand. Der Eisspeer hingegen zersprang in Brusthöhe. Riona spannte zwei weitere Pfeile und jagte ihrem ersten Angriff hinterher. Der Erfolg jedoch blieb derselbe. In ihrer Machtlosigkeit erschauderten die Frauen. Doch waren zumindest die letzten Stromstöße auf Leddron abgeklungen. Die Krallen des Charr rissen tiefe Furchen in den gepflasterten Boden, während er sich mühselig aufrichtete. Noch nicht wieder fest auf beiden Beinen, griff er nach seiner fallen gelassenen Klinge.
„Ich spüre mächtige Magie. So etwas habe ich … noch nie gespürt“, wisperte Nancy. Vor ihnen, noch in einigen Metern Entfernung, regte sich Ekkill; ein kurzes Zucken seiner Glieder, ein Ächzen, mehr brachte er nicht zustande. „Wir werden sterben, riskieren wir eine Konfrontation.“
Leddrons Blick blieb auf dem Auferstandenen und den Heerscharen um diesen herum haften. Zwischen seinem angriffslustigen Zähnefletschen grollte er: „Fliehen? Und Ekkill? Lieber möchte ich tausend qualvolle Tode sterben, als dass ich meine Männer in Feigheit zurücklasse.“
Riona suchte Vespas Blick. „Wie kriegen wir ihn heraus? Und schaffen es selbst?“
Die Charr schüttelte nur den Kopf. „Verschwinden wir.“
„Gelehrte Nancy …“
Nancys Atem stockte. Unter dem sanften, magischen Glühen seines Stabes löste sich der Hohepriester weiter aus der Menge, bis er die Mitte des Raumes erreichte. Das boshafte Wesen bohrte seinen Blick in das erstarrte Gesicht der Gelehrten. „Hier ist jemand. Jemand, der Euch sprechen möchte. Tretet hervor!“ Unter der fließenden Bewegung seines Armes zu seiner Linken flatterte der lange Ärmel seines Ornats wie Segel im Wind. Sich langsam nähernde Schritte trübten die Grabesstille. Sie kamen … aus der rechten Kammer. Dem Ostflügel. Riona stülpte es den Magen um.
Ein Schrei, so voller Angst, so voller Verzweiflung. Unter Tränen sank Nancy nächst zu der von Riona fallen gelassenen Fackel zu Boden, den Kopf unter ihren Händen begraben. Sie konnte es nicht, sie wollte es nicht sehen. Die vormalige Tebby war kaum wiederzuerkennen. Eine pervertierte Gestalt. Die Haut nur noch brüchiges, graues Leder. Kalter Hass in den Augen, die vor Stunden noch vor kühler Rationalität strotzten. Die Asura, noch mit dem Dolch in der Brust, bezog Stellung an der Seite des Priesters. Sie war eine von ihnen geworden.
„Findet Euren Frieden unter den Schwingen des Drachen. Werdet eins mit uns. Auf ewig.“
Nancy krümmte sich in Verzweiflung, während Tebby – oder das, was von der Gelehrten noch übrig war und mit ihrer verfälschten Stimme – auf sie einsprach. „Du bist nicht … du bist es nicht!“, kreischte Nancy und riss dabei den Kopf in die Höhe. Dicke Tränen quollen ihr aus den Augen.
Tebby erwiderte mit einem Grinsen.
„Du bist es nicht!“, wiederholte Nancy aus heiserer Kehle. Keine eisigen Speere mehr, sondern funkenschlagende, faustgroße Kugelblitze donnerten paarweiße aus Nancys ausgestreckten Händen. Ihr Zorn entlud sich auf die Asura, doch schirmte der unsichtbare Schild des Hohepriesters sogar dessen Umfeld ab, sodass abermals Nancys Magie ergebnislos an der Barriere zerschellte.
Die geifernden schwarzen Zähne des Klerikers bleckten, während er eine mitleidslose Grimasse schnitt. Ein weiteres Mal hob er seinen Stab. Ein letztes Mal. „Sterbt!“

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[Kurzgeschichte]: Winde des Zerfalls

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Der Stab schien zu explodieren – ein Knall, wie ein gezündeter Vierpfünder. In einem lüsternen Wettlauf um das Fleisch der Lebenden stoben die Blitze heran, versengten auf ihrem vernichtenden Pfad die verstümmelten Leichen und den Boden selbst. Mit aller Kraft rissen Riona und Vespa die am Boden kauernde Abtei-Gelehrte zurück. Aussichtslos, wie sie beide insgeheim wussten, laut auszusprechen jedoch nicht wagten. Konnten sie diesem Angriff vielleicht noch mit knapper Not entgehen, dem darauffolgenden dagegen sicherlich nicht. In Verzweiflung wurden Schwerter gezogen und Dolche; alles, was in ihrer lähmenden Hilflosigkeit auch nur den bloßen Ansatz von Schutz bot.
Das magische Licht der fallen gelassenen Fackel geriet mit einem Mal außer Kontrolle, just in dem Augenblick, als die heranrasenden Blitze den Lichtträger eigentlich in Stücke hätten zerreisen müssen. In einem blendenden Ausbruch violettfarbenen Lichts erwachte die Fackel schier zum Leben. Der metallische Schafft zappelte unruhig über den Boden, während am anderen Ende das flackernde Feuer immer mehr einem Mund glich, der in unendlicher Gier seinen Durst an den Blitzen stillte. Es war ein Sog, dem sich die Magie des Klerikers nicht entziehen vermochte.

Eine gespaltene Kulisse. Ungläubigkeit. Hoffnung. Entsetzen. Dominiert von einer unheimlichen Stille. Abwechselnd starrte Riona auf das nun wieder kontrollierte violette Züngeln der Fackel sowie das ausgemergelte Gesicht des Priesters, von dem sie vermutete, wäre noch etwas Farbe darin, er würde auf der Stelle erblassen. Er hatte Angst.
Der Magier wirbelte herum, wo am anderen Ende der Halle die Seinen in Untätigkeit verharrten. „Vernichtet sie!“, brüllte er ihnen hysterisch zu.
Aus Dutzenden Kehlen quollen die gemeinsamen Schreie wie aus einer. Klingen wurden in die Höhe gerissen. Das Land unter den donnernden Füßen der Auferstanden schrie laut auf.
Indessen Leddron in verwegener Gelassenheit sein Schwert zum letzten Gefecht zog, sprang Riona in rasanter Bewegung über die verzagende Nancy am Boden hinweg. Ihre Gedanken kreisten in Ungewissheit und Todesangst, noch als sie das kühle Metall der Fackel in den Händen spürte. „Vespa! Tarnung! Jetzt!“, schrie sie über die Schultern.
„Zehn Sekunden. Zwölf maximal“, nickte die Charr, ohne Fragen zu stellen oder auf eine Antwort zu warten. Zu kurz oder ausreichend … bedeutungslose Worte im Angesicht des Todes.
Riona versank von Kopf bis Fuß in einem Fass öliger Tinte, so wie die letzten zwei Male, als sich die beiden Gerüchte-Frauen aus besonders prekären Lagen hatten herauswinden müssen. Vespas Tarnungsmagie verlieh dem Träger ein einmaliges Gefühl von Unbeschwertheit, als ob alle weltlichen Sorgen und jedes Herzleid vergessen waren. In dieser Welt, wo die Zeit nur halb so schnell zu verrinnen schien, existierten keine Farben, nur schwarz und weiß. Geräusche waren ein verschwommenes Dröhnen, Gerüche und jedes körperliche Gefühl nicht existent.
Nur ihr eigener Herzschlag überholte die rasenden Schritte auf den Priester zu, indes ihr eine Sturmflut untoten Fleisches entgegenschwappte, sie bald überrollen und wegschwemmen würde. Riona passierte den bewusstlosen Ekkil zu ihrer Linken. Gleich darauf kam ihr die untote Tebby mit dem Dolch in Händen entgegen, der ihr zuvor in der befleckten Brust gesteckt hatte. Doch das Verlangen in dem Blick der blutleeren Hülle galt den anderen Lebenden im Raum, denn die gewaltige Magie, die die körperlichen Überreste zurück ins Diesseits gebracht hatten, vermochte nicht den Schleier zu durchschauen, hinter dem sich Riona verbarg. Die letzte Bestätigung die Riona brauchte, als sie Tebby hinter sich ließ: Das magische Feuer der Fackel reagierte nicht auf Vespas Tarnungsmagie, nur auf orrianische.
Die Narben auf den Gesichtern der Auferstandenen kamen mehr und mehr zum Vorschein. Nur noch Augenblicke trennten die Waldläuferin von Leben und Tod. Rionas Beine verließen zum letzten Mal den Boden. Ihr Magen rotierte. Das Gefühl von Unbeschwertheit verließ allmählich ihren Körper. Immer mehr holte das Gefühl sie ein, durch ein Netz tentakelartiger Fangarme zu schwimmen. Sie spürte die Taubheit in ihren Beinen, der Krampf in ihrem Herzen, die Schlinge um den Hals, die Atemlosigkeit. Die Auferstandenen brüllten. Der Schleier verschwand. Rionas erschöpftes, doch wutverzerrtes Gesicht schälte sich aus den Schatten auf. Die kalten Augen des Priesters weiteten sich in Panik.
Mit der Wucht eines Rammbocks durchstieß das lodernde Ende der Fackel die unsichtbare Barriere und bohrte sich in das Gesicht des Hohepriesters. Die Fackel begann zu beben. Die Todesschreie erstickten in dem Gelage verschlingender Flammen. Die nachfolgende Druckwelle schleuderte Riona meterweit zurück. Noch bevor sie die Schmerzen des Aufpralls erlitt, wurde es ihr schwarz vor Augen …

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[Kurzgeschichte]: Winde des Zerfalls

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Die fünf Gefährten hatten sich um den Leichnam des Hohepriesters versammelt; oder vielmehr das, was noch von ihm übrig war: die schwarze Robe umsäumt von einem Häufchen Asche. Jeder Auferstandene im Raum hatte dasselbe düstere Schicksal ereilt, nur Augenblicke, nachdem das violette Feuer den Magier verzerrt hatte. Nur Tebbys Leichnam war zwischen den ganzen Aschedünen, Kleidungsresten und Waffen übrig geblieben. Der natürliche Lauf der Dinge würde den Rest besorgen. Riona wurde von Vespa gestützt. Ihr rechter Arm war ausgerenkt und das linke Bein waren ausgerenkt, einige blaue Flecken unter ihrer Rüstung schwollen zu prächtigen Blutergüssen an. Nichts, was ein Stückchen Apfelkuchen und eine Mütze gesunden Schlaf nicht wieder zu richten vermochten, wie sie nach dem Erwachen müde gescherzt hatte. Auch Ekkill war wieder auf den Beinen; auf den ersten Blick etwas übernervös, da der Reststrom in dem Nornkörper die Muskeln hin und wieder ungewollt zucken ließ.
Nancy ging auf die Knie. Neben der Kleidung, dem schaurigen Stab und einer Ansammlung von Asche hatten nur noch zwei weitere Dinge die gewaltige Druckwelle überdauert, die die Magie aus den seelenlosen Hüllen gewaltsam herausgepresst hatte. Die Fackel mit dem violettfarbenen Licht in Nancys Hand brannte unnachgiebig. In der anderen Hand hielt sie das goldene Amulett des Klerikers. Die enthaltene Magie vibrierte sanft.
„Ich spüre Restmagie. Orrianisch“, sagte sie und blickte in die Runde.
Kriegsmeister Leddron belächelte das Kleinod herablassend. „Dann nehmt es mit. Aber bei Baelfeuer, wenn nur eines die Strapazen wert war, dann dieses … dieses Ding!“ Anerkennend nickte er Richtung Fackel.
„Woher wusstet Ihr das?“, wollte Nancy plötzlich von Riona wissen. Leddron und Ekkill taten es der Gelehrten gleich und schauten Riona an. „Woher wusstet Ihr, dass der Zauber der Auferstandenen brechen würde?“
Riona lächelte sanft, doch Vespa schnitt ihr das Wort ab. „Gerüchte Geheimnis. Psst!“ Die Charr schnitt eine Grimasse.
Protestierend öffnete Nancy den Mund, doch diesmal war Riona schneller. „Eigentlich müsstet gerade Ihr das verstehen, Nancy, denn es war eigentlich Eure Idee.“
Verständnislos zuckte die Gelehrte die Schultern.
„Die Signatur, erinnert Ihr Euch?“, erklärte Riona. „Die Fackel reagiert auf orrianische Magie. Darum verschlang sie das Feuer. Darum konnte Vespa ihre Magie auf mich wirken und Ihr Eure Zauber sprechen, hingegen die Magie des Priesters aufgesogen wurde. Das Feuer durchbrach die Barriere, weil sie dieselbe Signatur aufwies. Und natürlich entzog sie den Auferstandenen sämtliche Magie.“
Nancy machte ein Gesicht, als ob das brachiale Wissen ganzer Bibliotheken über sie hereinbrach. „Natürlich! Oh, das ist genial! Das ist … das …“ Wie ein Kind im Bonbonladen streunte Nancy unruhig hin und her. „Genial!“, wiederholte sie begeistert. Dann stockte sie plötzlich, das Gesicht in nachdenklichen Falten gehüllt. „Dann ist das hier …“ Das Amulett pendelte unruhig zwischen den Zeigefingern der Gelehrten, während sie es in das Feuer hielt. Doch nichts geschah. Kein gieriges Verschlingen, keine Stoßwelle, noch nicht einmal Ruß wollte das Metall beflecken. „Es stimmt“, nickte sie. „Es ist ein orrianisches Artefakt. Und die Auferstandenen … in ihnen fließt Drachenmagie. Sie alle tragen dieselbe Signatur … nämlich die des Altdrachen Zhaitan! Das Feuer reagiert also nicht auf orrianische, sondern auf Drachenmagie. Dieses Wissen ist unbezahlbar.“
„Das ist mir alles zu kompliziert“, schüttelte Ekkil den Kopf und gähnte danach ausgiebig. „Können wir jetzt endlich gehen? Mich juckt es überall. Außerdem kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wann ich mir das letzte Mal die Kehle befeuchtet habe.“
Es waren die letzten Worte, die sie am letzten Ruheort des Priesters wechselten. Keiner wollte mehr länger als nötig hier verweilen. Vereint in ihrer Sehnsucht nach dem ersten lauen Sonnenstrahl, der den Alptraum dieser viel zu langen Nacht endgültig beenden sollte, kehrten sie der Kammer den Rücken zu. In stiller Trauer blickte Nancy noch einmal über die Schulter.
„Lebewohl, Tebby.“

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